
5
»Man sollte doch meinen, dass die Ankunft eines nackten, schmutzigen Ex-Dämonenfürsten zumindest leichte Aufmerksamkeit erregt«, sagte Savian, als ich auf einen Stuhl sank. »Aber es scheint niemanden zu kümmern.«
»Die Leute wissen wahrscheinlich nicht, was sie denken sollen«, erwiderte ich.
»Entweder das, oder sie haben viel zu viel Angst vor dem Anblick eines verfluchten Penis, um allzu lange hinzuschauen.« Savian blickte sich in der auf Mittelalter getrimmten Kellerbar des Hotels um, in dem wir abgestiegen waren. Um diese Tageszeit waren wir die einzigen Gäste. Graues Licht fiel durch die dicken, gewölbten Glasscheiben, die den Eindruck erwecken sollten, wir befänden uns am Hof von Elizabeth I. von England.
»Beleidigst du meinen Schwanz?«, fragte Magoth und stemmte die Hände in die Hüften.
Savian blickte ihn leicht erschrocken an. »Ich mache gar nichts mit deinem Schwanz, ganz zu schweigen davon, dass ich ihn beleidige, obwohl...« Er betrachtete das Glied.
Magoth kniff die Augen zusammen und wies stolz auf seine Genitalien. »Das ist ein prachtvolles Exemplar seiner Art! Es ist mehr als prachtvolles ist der Schwanz aller Schwänze. Er kann Dinge, von denen du nur träumst! Er ist der Gott unter den Penissen!«
»Oh, so gut war er nun auch wieder nicht«, schnaubte Cyrene und verdrehte die Augen.
Jim lagen offensichtlich eine ganze Menge Kommentare auf der Zunge, aber da er zum Schweigen verdonnert war, konnte er nur die Augenbrauen hochziehen und Magoths Penis lange und nachdenklich betrachten.
»Magoth, bitte, sprich leiser«, sagte ich.
»Er«, spuckte Magoth und zeigte auf Savian, »hat sich über den prächtigsten aller Schwänze abfällig geäußert. Ich verlange, dass du als meine Gemahlin meine Ehre verteidigst. Verwandle dich wieder in Drachengestalt und brate ihn bei lebendigem Leib.« Er hielt inne, weil ihm anscheinend ein Gedanke gekommen war. »Und dann kannst du deinen Schwanz um mich schlingen und ...«
»Niemand äußert sich abfällig über irgendetwas, geschweige denn über deine Genitalien«, sagte ich rasch, bevor er näher auf das Thema einging. »Beruhige dich und setz dich hin, bevor dich jemand bemerkt.«
Er schnaubte und blickte sich um. »Ich muss pinkeln. Du hast wahrscheinlich etwas dagegen, wenn ich es hier an Ort und Stelle erledige, also werde ich mich mit meinem erhabenen Schwanz zur Toilette begeben, wo er eure plebejischen Seelen nicht länger beleidigt.«
Ich wechselte einen Blick mit Cyrene, als Magoth zur Toilette marschierte.
»Er liebt seinen Schwanz wirklich«, sagte sie, als ob das alles erklären würde. »Und versteht mich nicht falsch, er war gut und schön, aber prachtvoll? Der Gott unter den Penissen? Nein. Höchstens ein Herzog oder ein geringerer Prinz. Aber kein Gott.«
»Ich kann es kaum glauben, dass wir tatsächlich hier sitzen und über Magoths Genitalien diskutieren«, sagte ich und rieb über das glatte, kühle Holz der Tischplatte. »Das ist surreal.«
»Nicht annähernd so surreal wie dieses Lokal hier«, sagte Savian. Er betrachtete gerade die Schiffsbilder an den Wänden und wies mit dem Kinn auf eines. »Henley-Regatta 1923. Das erwartet man eigentlich nicht in Lettland.«
Ich musste zugeben, dass auch ich das Hotel ungewöhnlich fand. Die Frage, warum ein lettisches Hotel in der kleinen Stadt Livs sich so sehr bemühte, ein englisches Landhaus mit Reetdach und Putzwänden zu imitieren, wurde von einem rotgesichtigen, kahlköpfigen Mann beantwortet, der aus einem Hinterzimmer in die Bar trat.
»Hallo, hallo, ich habe gar nicht gemerkt, dass wir so früh schon Gäste haben. Hier im Pub servieren wir kein Essen. Das gibt es oben im Tearoom. Dort ist alles selbst gemacht, nichts im Laden gekauft. Meine Frau backt auch - sie hat ein Händchen für Gebäck. Westlich der Themse werden Sie keine besseren Scones finden.«
»Wir haben keinen Hunger, danke«, sagte ich und lehnte mich zurück, damit er einen Untersetzer vor mich auf den Tisch legen konnte. »Wir möchten nur etwas trinken.«
»Ja, in Ordnung. Sie sehen mitgenommen aus. Sie waren sicher wandern, was? Wir haben viele amerikanische Gäste zum Wandern hier, seit die Russen nicht mehr regieren. Sie sind wohl Schwestern, was? Sie sehen sich total ähnlich. Oh, aber wo habe ich heute nur meinen Kopf? Ich bin Ted Havelbury, Ihr alter Wirt«, sagte er schmunzelnd. »Ja, ja, ich weiß schon, was Sie denken. Sie denken sicher, der alte Ted ist ein bisschen aus seiner gewohnten Umgebung geraten, und so ganz falsch liegen Sie damit auch nicht, aber die Mutter meiner Frau war aus dem alten Land, und als sie starb und uns dieses Gasthaus hier hinterließ, haben wir uns gedacht, warum eigentlich nicht? Die Kinder waren erwachsen und hatten eigene Familien, also sind meine Frau und ich hierher gezogen. Aber jetzt wollen Sie bestimmt was zu trinken, was? ... Äh ...«
Ted hatte fröhlich auf Cyrene und mich eingeredet und Savian, der sich auf den Stuhl neben mich gesetzt hatte, freundlich zugenickt. Aber jetzt trat auf einmal Magoth in voller Schönheit aus der Toilette, schob Jim beiseite und marschierte zu Savian. Drohend baute er sich vor dem Diebesfänger auf. Savian warf mir einen gequälten Blick zu und seufzte schwer, bevor er Magoth den Platz neben mir überließ.
»Äh ...«, wiederholte Ted.
»Unser Freund hier hatte einen kleinen Unfall im Fluss«, sagte ich, schüttelte eine Papierserviette aus und legte sie über Magoths Schoß. »Seine Kleider waren zu nass, als dass er sie hätte tragen können.«
»Ach, tatsächlich«, sagte Ted langsam. Er sah so entgeistert aus, dass ich am liebsten gelacht hätte. »Er möchte sich vermutlich nicht anziehen, bevor er etwas getrunken hat?«
»Sag dem Sklaven, ich möchte eine Flasche 1996er-Bollinger, auf 7,22 Grad Celsius gekühlt, mit einem Glas«, verlangte Magoth.
»Sklave?«, fragte Ted.
Ich beugte mich zu ihm und sagte leise: »Nehmen Sie es unserem Freund nicht übel. Er ist Ausländer.«
Ted musterte den nackten, schmutzigen, arroganten Magoth mit zweifelnden Blicken. »Ach ja?«
»Südamerikaner«, sagte ich, wobei ich mich im Geiste bei jedem Einwohner dieses Kontinents entschuldigte.
»Oh, Lateinamerika.« Ted nickte. »Das erklärt alles. Impulsive Leute. Exzellente Tänzer, aber impulsiv.«
»Ich hätte gerne einen Gin Tonic, mein Zwilling eine Flasche Lemon Perrier, wenn Sie das dahaben, und Savian möchte...?«
»Brandy.«
»Hmm. Wegen dem 1996er-Bollinger muss ich im Lager nachschauen. Ich glaube, wir haben noch eine von Silvester ...«
Ted warf einen letzten Blick auf Magoth und eilte davon, um unsere Bestellung auszuführen.
»Du kannst schon mal beten, dass niemand hereinkommt, während du deinen Champagner trinkst«, sagte ich zu Magoth. »Und sobald du fertig bist, ziehst du dich wieder an. Jim, hör auf, deine Nase an meiner Hand abzuwischen. Du kannst etwas von Cys Perrier haben, denn wenn sie eine ganze Flasche trinkt, wird sie nur betrunken.«
»Ich werde nie betrunken«, sagte Cyrene empört.
»Achtzehnter Mai 1921. Long Island, New York«, warf Magoth ein und zog eine Augenbraue hoch. »In meinem Haus. Vor allem im Garten. Du, ich und dreihundert meiner engsten Freunde.«
Cyrene errötete und wandte den Blick ab. »Da war ich nicht betrunken. Höchstens berauscht.«
»Es war eine Orgie«, korrigierte Magoth sie. Er überlegte kurz, dann fuhr er lächelnd fort: »Eine sehr, sehr schöne Orgie! Wenn ich mich nicht irre, hat sie zur Schaffung der anbetungswürdigen May geführt. Kannst du dich daran erinnern, meine Süße? Erinnerst du dich, wie du ins Leben gerufen wurdest und dein Blick zuerst auf mich fiel?«
»Ja, ich erinnere mich. Ich habe geschrien.«
»Musik in meinen Ohren«, seufzte er verträumt. »Du willst vermutlich nicht... «
»Nein«, sagte ich hastig. Ehe ich weitersprechen konnte, polterten Schritte die Holztreppe herunter.
Ein Mann blieb unten an der Treppe stehen, blickte sich rasch um und wollte sich gerade schon wieder abwenden und hinaufgehen, als er uns erblickte. Er brüllte nach oben: »Ich habe sie gefunden!«
»Das klingt nicht gut«, murmelte ich, als ein zweiter Mann nach unten kam. In unmissverständlicher Absicht - und unmissverständlichem Geruch - kamen sie auf uns zu.
»Dämonen«, sagte Cyrene und zog die Nase kraus, als der Dämonenqualm sie traf.
»Dem Anschein nach Zorndämonen«, sagte Savian und kniff die Augen zusammen.
Zorndämonen, wie jeder, der schon einmal in Abaddon gewesen ist, wusste, hieß niemand gerne willkommen. Sie waren wie kleine Dämonenfürsten, besaßen beachtliche Macht und waren niemandem unterstellt.
»Was wollen sie?«, fragte Cyrene.
»Zweifellos ist Bael klargeworden, dass es ein Fehler war, mich auszustoßen, und jetzt soll ich zu ihm kommen, damit er mir meinen rechtmäßigen Besitz und Titel wiedergibt, die mir durch die Sorglosigkeit deines Zwillings abhandengekommen sind.« Magoth blickte den beiden Männern siegesgewiss entgegen.
»May hat gar nichts damit zu tun, dass du aus Abaddon herausgeworfen worden bist«, erwiderte Cyrene zu meiner Überraschung. »Das war deine eigene Schuld, und das weißt du auch.«
»Seine verabscheuungswürdige, gebieterische Majestät, der Erste Fürst Bael, hat uns nicht entsandt, damit wir uns mit einem Ehemaligen wie dir, Magoth, befassen«, sagte der eine Dämon, wobei ein höhnisches Lächeln seine Lippen umspielte. Er blieb ein paar Meter von mir entfernt stehen und wies mit dem Kinn auf mich. Anscheinend war ich gemeint.
»Du wirst mich mit Lord Magoth ansprechen, du elender kleiner Abschaum«, fuhr Magoth ihn an. Seine Worte klangen so kalt und so bedrohlich, dass ich mir unwillkürlich über die Arme rieb und Jim sofort ein paar Schritte zurückwich. Bei emotionalen Ausbrüchen zog er die Wärme aus der Umgebung, und ich hatte dann immer das Gefühl, gegen einen Eisberg zu prallen. »Und du wirst nur sprechen, wenn ich dir die Erlaubnis dazu gebe.«
Ich zog die Augenbrauen hoch. Diesen gebieterischen Tonfall kannte ich zwar von ihm, aber er hatte ihn nur bei seinen eigenen Lakaien angewandt, nie bei den Untergebenen anderer Dämonenfürsten, und schon gar nicht bei den Angestellten von Bael, dem ersten Fürsten in Abaddon.
Die Dämonen bedachten Magoth mit einem verächtlichen Blick und wandten sich mir zu. »Lord Bael wünscht deine Anwesenheit, Drache.«
Ich verkniff mir die Antwort, dass ich eigentlich kein Drache war.
»Was?«, kreischte Magoth und sprang auf. »Er will meine Gemahlin sehen? Warum?«
Der Dämon neben ihm zog seine Augenbraue hoch, als er Magoths Penis-Tattoo studierte. Der andere jedoch ignorierte den erzürnten Dämonenlord und blickte mich aus seinen kalten Augen an.
»Warum will Bael mich sehen?«, fragte ich, da Magoth keiner Antwort gewürdigt wurde.
»Ich stelle hier die Fragen, Sklave«, knurrte Magoth und stellte sich zwischen den Zorndämon und mich. Er schrie dem Dämon direkt ins Gesicht: »Antworte mir, du wässeriger Wurm am Unterbauch einer Kröte!«
»Ich führe die Befehle meines Herrn nur aus«, sagte der Dämon. Er tat so, als sei Magoth Luft für ihn. »Er hat deine Anwesenheit befohlen, und wir sind durch drei Länder gezogen, um dich zu finden. Du verbirgst deine Spur gut, Drache. Du kommst jetzt mit uns.«
»Aarrgh!«, schrie Magoth und schwenkte wild mit den Händen. »Ich lasse mich nicht so behandeln!«
Ich betrachtete die beiden Zorndämonen, wobei ich mich fragte, wie lange Gabriel und Kostya wohl noch brauchen würden, um das Stück Drachenherz zu holen. »Und wenn nicht?«
Der eine Dämon zuckte mit den Schultern. »Du kommst mit uns. Lord Bael hat es befohlen.«
»Lord Bael hat es befohlen. Lord Bael hat es befohlen«, äffte Magoth ihn nach. »Nun, Lord Magoth befiehlt ebenfalls.«
»Der Unterschied besteht allerdings darin, dass du kein regierender Fürst mehr bist«, warf Savian ein.
Magoth wirbelte herum und warf ihm einen giftigen Blick zu. Savian zuckte zusammen.
Ich hatte auf einmal das Gefühl, dass wir alle Probleme bekommen würden, wenn ich Baels Einladung nicht folgen würde.
»Na gut«, sagte ich und erhob mich langsam. Ich warf Cyrene einen bedeutungsvollen Blick zu. »Sag bitte Gabriel, was passiert ist und wo ich bin. Ich werde versuchen, so schnell wie möglich zurückzukommen.«
Cyrene musterte mich besorgt. »Bist du sicher, dass dir nichts passieren wird?«, fragte sie flüsternd.
»Bestimmt nicht. Selbst Bael überlegt es sich zweimal, ehe er sich an der Gefährtin eines Wyvern vergreift«, erwiderte ich selbstsicherer, als ich mich fühlte. »Jim, du kannst mit mir kommen, aber hüte deine Zunge in Baels Anwesenheit.«
Jim, der von seinem Schweigegebot erlöst war, wandte sich an die Zorndämonen: »Hallo. Lange nicht gesehen, Sori. Wie läuft's denn so, Tachan? Das ist ja eine Ewigkeit her, seit ich euch das letzte Mal gesehen habe. Und, immer noch so eine Vorliebe für Dampfwalzen?«
Der Penisbetrachter warf Jim einen so wütenden Blick zu, dass sein Fell zu qualmen anfing.
In den hinteren Bäumen hörte man einen Mann singen. Anscheinend hatte der Wirt Magoths Champagner gefunden.
»Ihr bleibt hier«, sagte ich zu den anderen. »Ich höre mir an, was Bael will, und bin so schnell wie möglich wieder zurück. Vergesst nicht, Gabriel zu sagen, dass ich freiwillig mitgegangen bin«, sagte ich und behielt die Tür zum hinteren Lagerraum i Auge. »Er braucht nicht hinter mir herzukommen, um mich zu retten.«
»Bist du sicher?«, fragte Savian so besorgt, dass mir ganz elend wurde.
Der Dämon namens Sori ergriff meinen Arm, um mich durch den Stoff des Seins vor Bael zu zerren, aber noch bevor er einen Riss hineinmachen konnte, stürzte sich Magoth mit einem Kampfschrei auf mich. Jim sprang zur gleichen Zeit, um den Angriff zu verhindern, und wir fielen alle vier in einem verschlungenen Knäuel durch die Öffnung.
»Ich versichere dir, so ein dramatischer Eintritt war nicht nötig«, sagte eine kühle, gelangweilte Stimme, als ich versuchte, meine Gliedmaßen von den anderen zu lösen. Jims Kopf stieß gegen meinen, und einen Augenblick lang sah ich nur Sterne.
Ich setzte mich auf und warf Jim einen finsteren Blick zu. Magoth stützte sich an mir ab, um auf die Füße zu kommen. »Nun! Du solltest deinen Dienstboten ein bisschen mehr Respekt beibringen«, sagte er und klopfte seinen nackten Körper ab. Er verbeugte sich vor Bael. »Lord Bael.«
Im Gegensatz zu Magoth, der immer noch so aussah wie als Sterblicher, veränderte Bael seine Gestalt je nach Lust und Laune. Heute war er groß und dünn, mit einem Gesicht wie Ben Affleck, einschließlich der Bartstoppeln und der müden Augen. Er blickte Magoth an.
»Warum habt ihr ihn denn mitgebracht?«, knurrte er.
Die beiden Zorndämonen verbeugten sich. »Es war ein Unfall, Eure Hoheit. Er hat sich auf den Drachen geworfen, als wir sie hierher begleitet haben.«
»Ich habe mich nicht auf May geworfen. Ich habe mich in meinem ganzen Leben noch nicht auf etwas geworfen. Ich bin ein Dämonenlord - wenn sich jemand auf etwas wirft, dann nur meine Untergebenen!«, giftete Magoth.
Bael verdrehte die Augen. Er entließ seine Dämonen und wandte seine Aufmerksamkeit mir zu. Sein Blick glitt über Jim. Er betrachtete ihn stirnrunzelnd. »Habe ich dich nicht schon einmal gesehen, Dämon?«
Ich könnte schwören, dass Jim einen Knicks machte. »In der Tat, höllischstes aller höllischen Wesen. Ich bin Jim. Eigentlich Effrijim, aber ihr Typen mit euren unterschiedlichen Schreibweisen wie Beelzbub oder Baalzuvuv wisst ja, wie es ist - kurz und prägnant ist definitiv der Schlüssel zum Erfolg.«
Bael betrachtete ihn stirnrunzelnd. Offensichtlich erinnerte er sich nicht an Jim.
»Ich war vor ein paar Monaten mit May hier. Wir haben es einem Zorndämon gegeben, nicht dass du das hören willst, aber wenn ein Dämon sechster Klasse und ein Doppelgänger das schaffen, dann solltest du vielleicht deine Sicherheitsvorkehrungen mal verbessern«, erklärte Jim.
Ich boxte ihn an die Schulter.
»Ich sage ja nur!«
»Hör auf!«, warnte ich ihn.
»Wenn einer meiner Zorndämonen sich von euch hat hereinlegen lassen, dann geschah dies ganz bestimmt nicht aus Ineffektivität«, sagte Bael trocken und setzte sich hinter einen großen Schreibtisch aus Ebenholz.
»Ach ja? Warum hat er dann ... ich höre schon auf«, fügte Jim hastig hinzu. Er hatte den Ausdruck in Baels Augen richtig gedeutet.
»Das wurde auch Zeit«, sagte Magoth mürrisch und schob den Dämon beiseite, um vor seinen Boss zu treten.
Bael bedeutete mir, mich zu setzen. Ich nahm Platz. Magoth wartete einen Moment lang, aber ihm wurde diese freundliche Aufforderung nicht zuteil. Zähneknirschend schleppte er sich einen Stuhl heran und setzte sich ebenfalls. Seine nackten Hinterbacken machten ein unanständiges Geräusch, als sie auf die lederne Sitzfläche trafen.
Bael, der gerade eine Schublade aufzog, erstarrte kurz, nahm aber dann einen Laptop heraus und legte ihn kommentarlos mitten auf den Schreibtisch.
Ich blickte Magoth an. Er sah gereizt aus. Seine Beine hatte er zum Glück übereinander geschlagen, mit den Fingern trommelte er auf der Armlehne des Stuhls. »Mach ruhig weiter. Anscheinend ist meine Angelegenheit nicht so interessant wie die meiner Untergebenen, meiner Sklavin, meiner Gemahlin«, stieß er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.
Neugierig fragte ich Bael: »Ich möchte ja nicht auf dem Thema herumreiten, aber hast du tatsächlich angedeutet, dass der Zorndämon sich absichtlich zurückgehalten hat, als ich vor ein paar Monaten hier war?«
Bael klappte den Laptop auf und drückte mit seinen langen Fingern auf ein paar Tasten. »Das ist korrekt.«
»Warum?«, fragte ich. Ich erinnerte mich gut an die Szene. Der Zorndämon, den Jim und ich überwältigt hatten, hatte nicht den Eindruck gemacht, als würde er sich zurückhalten.
»Du bist ein Drache«, antwortete Bael, den Blick auf den Laptop gerichtet.
Magoth schnaubte und schimpfte leise vor sich hin.
»Und?«
Bael seufzte schwer, als ob ihn meine Fragen ermüden würden. »Bei Mitgliedern des Weyr pflege ich eine Politik der Zurückhaltung.«
»Und doch hält es dich nicht davon ab, einen Wyvern gefangen zu halten«, sagte ich.
»Das war etwas anderes. Ich habe die Kontrolle über den Wyvern nicht gesucht - sie ist nach Abaddon geschickt worden, in meinen Palast. Ich habe sie nur ... untergebracht.«
Ich verkniff mir, ihn auf das Offensichtliche hinzuweisen.
»Das heißt, bis du sie befreit hast.« Er blickte auf, und einen Moment lang war mir klar, dass er mich zerquetschen könnte wie einen Käfer, wenn er wollte. Aber dann erwachte das Stück Drachenherz und erfüllte mich mit Drachenfeuer und Mut.
Bael ließ den Blick sinken, und plötzlich erfüllte mich das Wissen, dass es stimmte, was er sagte - er hatte Chuan Ben zwar gefangen gehalten, weil sie ihm sozusagen in den Schoß gefallen war, aber mit den anderen Drachen wollte er sich eigentlich nicht anlegen. Nicht ich, sondern das Stück Drachenherz ließ ihn vorsichtig sein, und dieses Wissen gab mir ein wenig Sicherheit.
»Ohne mein Wissen oder meine ausdrückliche Zustimmung«, warf Magoth hastig ein. »Ich habe ihr nie befohlen, gegen deine Wünsche zu handeln, das würde ich nie tun. Ich würde nie riskieren, aus Abaddon verstoßen zu werden. Wenn jemand verstoßen werden sollte, dann sie.«
»Oh doch, du hast mir sehr wohl gesagt, ich solle tun, was ich tun müsse«, widersprach ich ihm. Das Drachenherz machte mich frech, als ob Magoth keine Bedrohung für mich darstellen würde. »Du hast gesagt, und ich zitiere jetzt: ›Ich bin zu beschäftigt, um mich mit so unwichtigen Angelegenheiten zu befassen. Tu, was du tun musst, solange du es ohne mich tust.‹ Wenn das keine Zustimmung ist, weiß ich es nicht.«
Magoth wandte sich wütend an mich. Die Temperatur im Raum fiel um etliche Grade. »Wie kannst du vor Lord Bael so lügen?«
»Ich lüge nicht, das weißt du. Und er weiß es auch.«
»Ich habe nie ...«
Bael hob die Hand.
»Die Diskussion langweilt mich. Du bist verurteilt und bestraft worden, Magoth. Deine Bestrafung wurde rechtmäßig ausgeführt.«
»Nicht ganz«, erwiderte Magoth und warf mir böse Blicke zu. Einen Moment lang überlegte ich, ob ich seine Zehen in Brand setzen sollte, aber es gelang mir gerade noch, mich zurückzuhalten. Wahrscheinlich würde er es sowieso nur für Vorspiel halten. »Meine Macht ist noch nicht wiederhergestellt.«
»Aus diesem Grund habe ich dich hierhergebracht«, sagte Bael zu mir.
»Ach, wirklich? Ich dachte, du wolltest mir die Leviten lesen, weil ich Chuan Ren befreit habe«, sagte ich ruhig. In diesem Augenblick fühlte ich mich sehr wie ein Drache und ließ es geschehen, dass meine Finger sich in gekrümmte, scharfe Klauen verwandelten. »Es geht mir eigentlich gegen den Strich, aber wenn du mich darum betteln lassen willst, Magoth seine Macht nicht zurückzugeben, so tue ich das gerne.«
»May!«, keuchte Magoth.
Jim kicherte leise.
Baels Augen leuchteten interessiert auf. »Das könnte ... nein. Es ist wahrscheinlich besser, diesem Gedankengang nicht nachzugehen, so verführerisch er auch sein mag. Wie du weißt, lässt die Doktrin des unendlichen Bewussten es eine gewisse Zeit lang zu, dass die verstoßene Person Eingaben bei den Fürsten machen kann, um ihre Position zurückzuerlangen. Danach wird die Verstoßung dann dauerhaft.«
Magoth hob das Kinn. »Ich habe ja eine Eingabe gemacht, aber du hast sie abgelehnt. Deshalb musst du mir gemäß der Doktrin jetzt meine volle Macht zurückgeben.«
Ich rutschte auf meinem Stuhl hin und her. Das Stück Drachenherz erfüllte meine Gedanken mit allen möglichen Aktionen, die Bael davon abhalten sollten, genau das zu tun.
Baels Blick huschte kurz zu mir, aber dann wandte er sich wieder seinem Laptop zu. »Das Gesetz sieht vor, dass die Macht ihrem rechtmäßigen Besitzer zurückgegeben werden muss, ja.«
»Gut.« Magoth erhob sich und stemmte eine Hand an die nackte Hüfte. »Es gefällt mir zwar nicht, aber ich akzeptiere meine Verstoßung, solange ich meine Macht habe. Ich werde einfach meine Aufmerksamkeit auf die Herrschaft über die Welt der Sterblichen richten. Du kannst über meinen Sitz hier verfügen.«
»Ich brauche deine ...«
Baels Antwort wurde von einem Wirbelwind unterbrochen, der plötzlich durch die Tür hereinstürmte.
»Entschuldigung, ich habe mich verspätet! Ich wurde aufgehalten, weil ich eine meiner Legionen bestrafen musste. Ihr glaubt ja nicht, wie ungehorsam sie sind! Ich weiß ja nicht, was der letzte Dämonenlord sich gedacht hat, aber sie hat auf jeden Fall meine Untergebenen völlig durcheinandergebracht. Das Einzige, was sie tun wollen, ist Software schreiben. Aber das Thema gehört jetzt nicht hierher. Habe ich es verpasst? Hast du es ihm schon gesagt? May, Süße, wie schön, dich wiederzusehen! Und Magoth. Du liebe Güte! Du bist ja splitternackt!«
Ein kichernder Wirbelwind mit pinkfarbenen Rüschen. Ein Wirbelwind namens Sally, begleitet von zwei fast nackten Bodyguards.
Sie blieb vor mir stehen und gab mir zwei Luftküsse. »Du siehst einfach großartig aus mit diesem schwarzen Ledermieder. Es ist doch erstaunlich, wie man damit die Figur formen kann, was? Magoth, mein lieber Junge, ist das dein Fluch oder freust du dich nur, mich zu sehen?« Sally trat zu Magoth und strich ihm mit der Hand über die nackte Brust. »Immer noch so lecker, allerdings solltest du vielleicht mal baden. Ist das Mäusekot in deinen Haaren? Oooh. Abgedreht.«
Magoth lächelte einfältig. Ich verdrehte die Augen, begrüßte sie aber höflich. »Hallo, Sally. Ich habe mich schon gefragt, was aus dir geworden ist. Wir haben uns ja ein paar Monate lang nicht gesehen. Anscheinend unterrichtest du jetzt Chippendale- Tänzer.«
Der Zorndämon, der mir am nächsten stand, zog am Bund seines gestreiften Tangas.
»Du meinst Vincenzo und Gunter? Sind sie nicht lecker?« Sally blies ihnen einen Kuss zu.
»Äh ... ja, sie sind definitiv ein besonderer Anblick«, erwiderte ich.
»Süße, Neid steht dir einfach nicht. Aber ich schicke sie weg, du weißt ja, wie viel mir unsere Freundschaft bedeutet. Und außerdem werden sie zu ungezogenen kleinen Jungs, wenn Mami ihre Aufmerksamkeit anderen Männern schenkt.« Sie küsste Magoth aufs Ohr und machte eine Handbewegung. Die beiden fast nackten Dämonen verschwanden.
»Ich frage mich, wie ich wohl in einem Tanga aussähe«, sagte Jim nachdenklich.
»Lächerlich.« Ich wandte mich wieder Sally zu. »Du siehst gesund und wohl aus. Bist du immer noch in der Lehre?«
»Du liebe Güte, nein. Hast du keine Einladung zur Zeremonie bekommen? Zur Hölle! Ich wusste doch, dass ich mich für die Einladungen besser an eine richtige Druckerei gewendet hätte, statt es meinen Untergebenen zu überlassen, Papier aus Yankee-Geld zu schöpfen. Es tut mir sehr leid, May. Es war eine wunderschöne Zeremonie, wirklich bewegend, als Bael eine ganze Legion für meine Thronbesteigung opferte. Es hätte dir bestimmt gefallen.«
Irgendwie bezweifelte ich das. Aber ich riss trotzdem die Augen auf, als ich hörte, dass Sally jetzt Abaddon regierte. »Du hast den Thron bestiegen?«
»Du kleine Meuchelmörderin!«, sagte Magoth liebevoll und drückte sie an sich. »Du hast meine Verbannung benutzt, um deine eigene Sache voranzutreiben. Wie clever von dir!«
Sie biss ihm ins Kinn. »Ich wusste, dass dir das gefallen würde.«
»Solange es sich dabei nicht um meinen Thron handelt, ja.«
»Um deine Frage zu beantworten, May, ich habe den Thron von einem gewissen Dämonenlord übernommen, der jetzt ein Drache geworden ist«, sagte sie kichernd. »Du weißt sicher, wen ich meine, nicht wahr? Ich wäre dir sehr dankbar, wenn du ihr schöne Grüße von mir ausrichten würdest. Sie hat alle meine Untergebenen absolut ruiniert. Du glaubst nicht, was sie sich für eine laxe Haltung angewöhnt haben, ganz zu schweigen davon, dass sie sich schlichtweg weigern, etwas richtig Böses zu tun. Ich meine, im Ernst, wozu sollen denn Untergebene sonst gut sein, wenn sie noch nicht einmal Zügellosigkeit und Niedertracht verbreiten wollen?«
»Schockierend«, murmelte Magoth, der mittlerweile beide Hände auf ihrem Hintern hatte.
»Was für eine Enttäuschung muss das für dich gewesen sein«, sagte ich. »Ich werde deine Klagen an Aisling weitergeben.«
»Sie wird sicher untröstlich sein«, meinte Jim spöttisch.
Sally, die mit Magoth geflüstert und gekichert hatte, erstarrte. Ihr Kopf fuhr herum, und sie warf Jim einen scharfen Blick zu. »Wer wagt es, ohne Erlaubnis mit mir zu sprechen? Wie ist dein Name, Dämon?«
»Das ist Jim«, sagte ich rasch und legte dem Dämon in Hundegestalt, der sich an meine Beine drückte, die Hand auf den Kopf. »Er gehört eigentlich Aisling, aber sie hat ihn mir geliehen.«
»Er ist impertinent«, sagte Sally und zeichnete mit einer nachlässigen Geste ein Symbol in die Luft.
»Hey, ich habe doch nur gesagt...« Jim verschwand. Er löste sich einfach in Luft auf.
Wut stieg in mir auf. »Was hast du getan?«, schrie ich und trat auf sie zu.
Sie besaß die Frechheit, mir einen überraschten Blick zuzuwerfen. »Ich habe ihn natürlich nach Akasha verbannt. Ich weiß, May, du bist kein Dämonenlord, aber du solltest in deiner Zeit hier in Abaddon gelernt haben, dass man die Kontrolle über die Lakaien nur behält, wenn man Impertinenz nicht duldet. Das führt nur zu Schlimmerem, wie Insubordination und Aufstand.«
»Sie hat recht.« Magoth nickte. »Ich persönlich ziehe ja Folter vor, da sie unterhaltsam ist und den anderen Dämonen zu Demonstrationszwecken dient, aber die Grundidee ist absolut richtig.«
»Bring ihn zurück«, sagte ich mit einem leisen Grollen in der Stimme, das mir selbst fremd war.
»Sei nicht albern, er ist doch bloß ein Dämon sechster Klasse«, erwiderte Sally. Sie wandte sich einfach ab und begann, Magoth auf den schmutzigen Hals zu küssen.
Ich warf Bael einen Blick zu. Er lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und beobachtete mich, Vorfreude im Blick.
»Bring. Ihn. Zurück«, sagte ich wieder, und mein Körper streckte sich und wurde zu einem silberschuppigen Drachen. Ich fletschte die Zähne und schoss einen Feuerstrahl auf Sally ab.
Sally riss die Augen auf, als der Feuerstoß die Spitzen ihrer rosafarbenen Plastikschuhe traf. »May! So dankst du mir?«
Magoth schob Sally beiseite und breitete die Arme aus, um mich willkommen zu heißen. »May! Meine süße, schuppige May! Willst du spielen? Hier? Jetzt? Vor Bael? Ich weiß zwar nicht, ob das der richtige Zeitpunkt ist, aber trotzdem bin ich seltsam erregt bei dem Gedanken. Ja, gib mir deinen süßen Schwanz!«
Der Schwanz pfiff durch die Luft und Magoth flog an die gegenüberliegende Wand. Seine Haut quietschte auf den Holzpaneelen, als er zu Boden rutschte.
Sally betrachtete ihn einen Moment lang, dann blickte sie mich nachdenklich an. »Ich verstehe.«
»Ach ja?« Langsam trat ich auf sie zu. Unter meinen Füßen bebte der Boden. »Verstehst du wirklich?«
»Vielleicht war es ein wenig voreilig von mir, deinen Diener zu verbannen«, sagte sie und wich zurück. »Ich will nicht, dass etwas zwischen uns steht, Süße. Was hältst du davon, wenn ich deinen Dämon zurückhole? Wärst du dann wieder glücklich?«
Ich verzog die Lippen zu einem Lächeln und zwang das Stück Drachenherz, meinen Körper wieder in seine normale Gestalt zu verwandeln. »Das würde mich in der Tat sehr glücklich machen.«
Sie sagte ein paar Worte und lächelte strahlend, als Jim wieder auftauchte. Sie ging sogar so weit, ihm den Kopf zu tätscheln, bevor sie sich mit kokettem Lächeln an Bael wandte: »Es tut mir leid, Lord Bael. Ich habe ganz vergessen, dass du gesagt hast ... ich habe es vergessen.«
Bael musterte sie, dann wandte er seine Aufmerksamkeit der schlaffen Gestalt Magoths zu. »Er hat meine Wand schmutzig gemacht.«
»Er hatte einen kleinen Unfall im Wald und ist dabei ein wenig schmutzig geworden«, erklärte ich.
Bael verschränkte die Finger und blickte mich an. »Mir scheint, er ist auch bewusstlos.«
»Er hätte keine Ruhe gegeben, bevor ich ihn nicht ausgeknockt hätte. Ich wollte euch allen seine wütenden Tiraden ersparen, zumal ich davon ausgehe, dass du etwas sagen möchtest, was ihm nicht gefällt.«
»Sehr scharfsinnig, Drache«, sagte Bael.
»Oh, gut, ich habe es also nicht verpasst.« Sally strahlte mich an. »Das wird dir gefallen, May. Du wirst es einfach lieben. Es ist so - oh, meine Güte, so wundervoll. Als Lord Bael es mir erzählt hat, konnte ich es nicht glauben. ›Wenn May das hört, flippt sie aus‹, habe ich zu ihm gesagt, und genauso wird es sein!«
»Sally«, sagte Bael mit einer erschöpften Geste.
»Oh. Entschuldigung. Meine Lippen sind versiegelt.« Sie fuhr sich mit dem Finger über den Mund. »Sprich einfach weiter und mach May glücklich.«
Bael, der meinen misstrauischen Blick nicht zu bemerken schien, lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und sagte behaglich: »Wie ich bereits sagte, bevor wir unterbrochen wurden: Es gibt Regeln, an die ich mich halten muss.«
»Ich bin einigermaßen vertraut mit der Doktrin des unendlichen Bewussten«, sagte ich und ging im Geiste die Regeln durch. Sallys Versicherung, wie sehr ich mich über Baels Überraschung freuen würde, hatte mich in meiner ursprünglichen Befürchtung, ich würde schreiend vor Entsetzen aus dem Zimmer rennen, noch bestätigt.
»Wie dein Arbeitgeber so angriffslustig erklärt hat, müssen wir ihm seine Macht gewähren, nachdem er eine Eingabe gemacht hat, die abgelehnt wurde. Daher tue ich jetzt genau das«, erklärte Bael und schnippte mit den Fingern in meine Richtung.
Ich holte tief Luft und konzentrierte mich darauf, das Stück Drachenherz im Zaum zu halten. »Darf ich dich darauf hinweisen, dass es Auswirkungen auf Abaddon haben wird, wenn Magoth in der Welt der Sterblichen Amok läuft? Du kommst und gehst in meine Welt so oft, wie es dir gefällt - glaubst du, das ist dir noch möglich, wenn er sie beherrscht? Auch dir muss doch klar sein, dass er einen Groll gegen dich hegt und alles tun wird, um dir den Zugang zur Welt der Sterblichen zu verwehren.«
»Niemand kann mich daran hindern, das zu tun, was ich wünsche«, erwiderte Bael mit täuschender Milde. »Aber ich habe keineswegs die Absicht, Magoth zu erlauben, irgendeine Welt zu regieren, ganz zu schweigen von einer, an der ich Interesse habe.«
Verwirrt runzelte ich die Stirn. Ich warf Jim einen Blick zu. Er sah so aus, als würden ihm gleich die Augen aus dem Kopf treten. Ich hätte ihn gerne gefragt, ob er etwas sehen könne, was ich nicht sah, aber ich hielt mich zurück. Bael würde mir ein solches Verhalten als Schwäche auslegen, und mir war es lieber, er hielt mich für einen bösen Drachen, mit dem man sich besser nicht anlegte. »Du willst ihm also seine Macht nicht zurückgeben?«
»Nein.«
»Aber die Doktrin ... ?«
Sally kicherte wieder. »Das ist so fabelhaft, May. Ich kann es kaum glauben, dass du nicht daraufkommst!«
»Worauf?«, fragte ich. Plötzlich fuhr mir ein schrecklicher Gedanke durch den Kopf. Entsetzt wandte ich mich an Bael. »Du willst doch nicht etwa sagen ... Du kannst doch nicht... Das ist nicht möglich, oder?«
»Du bist Magoths Gemahlin«, antwortete er achselzuckend. »Was die Doktrin angeht, so bestellt ihr beide aus dem gleichen Körper. Deshalb wird seine Macht dir übertragen. Mögest du viel Freude daran haben, Drache!«